Wie Sie dem «Fluch des Wissens» entgehen

«Sie leiden an einer Pneumonie in Verbindung mit Tussis und erhöhtem Anfall von Sputum», erklärt die Hausärztin. Hä? Kaum ein Patient versteht diese auf Fachchinesisch formulierte Diagnose. Dabei würden wir nur allzu gern verstehen, was unser gesundheitliches Problem ist (Auflösung weiter unten).

Ärzte und Ärztinnen haben – wie alle Experten – das folgende Problem: Sie vergessen, wie es ist, nichts über dieses Gebiet zu wissen. Mit anderen Worten: Sie leiden unter dem «Fluch des Wissens». Das ist nicht schlimm, solange Expertinnen und Experten unter sich sind. An einem Kongress können Mediziner fachsimpeln so viel sie wollen. Doch im Austausch mit ihren Patienten sollten sie versuchen, den «Fluch des Wissens» zu vermeiden.

Das gilt natürlich auch für alle anderen Experten. Beispielsweise den CEO, der seinen Mitarbeitenden die neue Strategie erklärt. Die Unternehmensleitung hat sich Wochen oder gar Monate damit beschäftigt. Die Mitarbeitenden hingegen hören zum ersten Mal davon. Zu erwarten, dass sie nach einer halbstündigen Präsentation alles verstanden haben und davon erst noch begeistert sind, wäre vermessen. Dennoch fallen die meisten Menschen dem «Fluch des Wissens» zum Opfer.

Was hat es damit auf sich? Der «Curse of Knowledge» geht zurück auf ein Experiment der Psychologin Elizabeth Newton. An der Stanford Universität liess sie 1990 eine Gruppe von Studierenden bekannte Lieder wie «Happy Birthday» aussuchen und die Melodie einer zweiten Gruppe vorklopfen. Von den 120 Liedern wurden lediglich drei erkannt; das entspricht einer Erfolgsquote von 2.5 Prozent. Diejenigen, die die Melodie auf den Tisch klopften, gingen jedoch davon aus, dass jeder zweite das Lied erkennen würde. Was ist passiert? Diejenigen, die die Melodie klopften, hatten das Lied im Kopf; die Zuhörenden hörten jedoch nur unverständliche Morse-Zeichen.

Die Psychologin hat damit eindrucksvoll bewiesen, dass wir unwissentlich davon ausgehen, dass die anderen uns verstehen. Beim «Fluch des Wissens» handelt es sich also um eine kognitive Verzerrung. Mit anderen Worten: Wir neigen dazu, unsere eigenen Kommunikationsfähigkeiten zu überschätzen. Je mehr wir von einem Gebiet wissen, desto weniger können wir uns vorstellen, dass andere davon nichts wissen. Weil wir vergessen haben, wie es ist, auf dem Gebiet Laie zu sein. Oder wir uns nicht in andere hineinversetzen können.

Was heisst das nun im Zusammenhang mit Sprache und Kommunikation? In dem Moment, wo wir anfangen, über unser Thema zu sprechen, sind wir den Zuhörenden weit voraus. Unser Publikum weiss vielleicht noch überhaupt nichts darüber. Diesen Gap, diese Barriere in der Kommunikation, gilt es zu überwinden. Auch wenn der Aufwand grösser ist, als wenn wir als Expertin vor Expertinnen sprechen.

Wie können wir also dem «Fluch des Wissens» entgehen und sicherstellen, dass wir verstanden werden? Dass der Empfänger die Nachricht versteht und verinnerlicht?

Folgende Punkte helfen uns dabei:

  1. Passen Sie die Nachricht auf die Empfänger an. Was weiss er oder sie, was nicht?
  2. Vermeiden Sie Fachchinesisch (ausser Sie sprechen vor einem Fachpublikum). Benutzen Sie eine allgemein verständliche, greifbare Sprache.
  3. Verzichten Sie darauf, möglichst vollständig und genau zu sein. Detailversessenheit und totale Transparenz können die Zuhörenden erschlagen.
  4. Reduzieren Sie den Inhalt aufs Wesentliche. Verzichten Sie auf Einschübe und Nebenschauplätze; sie lenken ab und verwirren nur.
  5. Erzählen Sie bildhaft, anhand von Geschichten und Metaphern. Bilder bleiben besser im Kopf als Abstraktes.
  6. Verpacken Sie Ihre Botschaft in ein Gesamtpaket. Visuelle und auditive Darstellungen (Bilder, Filme, Musik) helfen dabei, einen besseren Zugang zum Gesagten zu schaffen.

Hier noch die versprochene Auflösung vom Beispiel oben: Der fiktive Patient hat eine Lungenentzündung mit Husten und davon ausgelöstem Auswurf.