Wenn der Amtsschimmel wiehert
Sie haben ein amtliches Dokument vor sich – und verstehen erst einmal Bahnhof. Keine Sorge: Damit sind Sie nicht allein, im Gegenteil. Selbst geübte Leserinnen und Leser haben mit dem «Beamtendeutsch» ihre liebe Mühe. Es wirkt sperrig, abstrakt, umständlich.
Ein Beispiel gefällig?
«Wenn Betreuungstage in der schulergänzenden Betreuung von den Eltern abgelehnt werden, können für entsprechende Betreuungstage in der Kindertagesstätte keine Betreuungsgutscheine gewährt werden.»
Selbst wer länger die Schulbank gedrückt hat, versteht solche Behördenschreiben kaum beim ersten Durchlesen. Der Lesefluss stockt, die Lesbarkeit leidet. Im schlimmsten Fall springt die Leserin ab.
Ein Grund dafür ist der gestelzt wirkende Nominalstil, sprich: die Verwendung vieler Hauptwörter oder Substantive, insbesondere Wörter auf -ung, -heit und -keit (Substantivierungen).
Noch schwerer verständlich sind substantivische Zusammensetzungen (Komposita). Wörter lassen sich im Deutschen fast beliebig zusammensetzen und aneinanderreihen.
Die längsten Wörter im Dudenkorpus stammen – wen wundert’s – vorwiegend aus der Verwaltungs- und der Rechtssprache. Auf ganze 79 (!) Buchstaben bringt es das längste Wort gar.
1. Rinderkennzeichnungsfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz
2. Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung
3. Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz
Quelle: www.duden.de
Wer solche bandwurmartigen Wortkonstruktionen verwendet, mutet den Leserinnen und Lesern so einiges zu.
Machen Sie es besser. Verwenden Sie Substantive sparsam, und vermeiden Sie Passivkonstruktionen. Setzen Sie stattdessen auf Verben, und zwar auf möglichst konkrete (keine Modalverben). Verben machen einen Text lebendiger und anschaulicher (dazu mehr in einem nächsten Blog-Beitrag).
Beispiele:
- Das Gezwitscher der Vögel ist sehr laut. (Nominalstil)
- Die Vögel zwitschern sehr laut. (Verbalstil)
- Die Überprüfung der Daten erfolgte erst nach Abschluss des Projekts. (Nominalstil)
- Die Daten wurden erst überprüft, nachdem das Projekt abgeschlossen war. (Verbalstil)
Sie merken: Der Verbalstil ist der gesprochenen Sprache näher und hat damit dem umständlichen Nominalstil einiges voraus. Wir verstehen den Verbalstil ganz einfach besser. Das wusste offenbar schon Cäsar. Von ihm stammt der wohl berühmteste Satz im Verbalstil:
«Ich kam, sah und siegte.»
Hätte er seine Aussage im Nominalstil formuliert, sie wäre wohl nicht so durchschlagend gewesen:
«Nach erfolgter Ankunft und Besichtigung der Verhältnisse war mir die Erringung des Sieges möglich.»
Im Nominalstil verliert die Aussage an Kraft und Klarheit. Kommt dazu: Die handelnde Person – immerhin Cäsar! – ist hier hinter unverständlichen Passivkonstruktionen versteckt.
Der Nominalstil ist übrigens nicht nur in der Verwaltung weit verbreitet, sondern auch in vielen Unternehmen. Und für Juristen und Wissenschaftlerinnen ist dieser Stil geradezu typisch. Doch selbst in wissenschaftlichen Texten sollte der Nominalstil der Verständlichkeit zuliebe nicht übermässig strapaziert werden.
Zum Schluss kommt hier noch die Auflösung des behördlichen Textes von oben, diesmal in verständlicherem Deutsch:
«Hat Ihnen die Schule für gewisse Tage in der Woche die Betreuung im Hort angeboten? Haben Sie dieses Angebot abgelehnt? Dann können Sie für diese Tage keine Gutscheine beantragen für die Betreuung in der Kindertagesstätte.»